no-racism.net logo
 
pfeil zeigt auf no-racism.net logo deportatiNO

 
interne verweise
Weitere Artikel zum Thema:
Texte zur Rubrik:

[ 07. Sep 2015 ]

Mitgefühl ist wichtig, einen Wandel bringen aber nur verlässliche Rechte für Geflüchtete

Ein Artikel von Stop Deportation Vienna.

Es war ein starkes Signal: 20.000 Menschen nahmen am 31.08. in Wien an einer Demonstration gegen die Missstände im Erstaufnahmelager Traiskirchen teil, um ein Zeichen zu setzen: Flüchtlinge sind hier willkommen! Das sind um ein Vielfaches mehr Menschen als gewöhnlich zu diesem Thema auf die Straße gehen. Das ist ermutigend und lässt hoffen.

 

Ebenso die vielen freiwilligen Helfenden aus der Zivilgesellschaft, die in den letzten Tagen privat finanzielle und praktische Unterstützung z.B. an den Bahnhöfen leisten, um geflüchteten Menschen die Weiterfahrt zu erleichtern. Ein GroÜteil der freiwilligen Helfer*innen am Hauptbahnhof und Westbahnhof, wie auch in Traiskirchen, sind Privatpersonen und Aktivist*innen. Sie ermöglichen eine grundlegende Versorgung der Geflüchteten. Die groÜe Bereitschaft vieler Menschen Fluchthilfe aus Ungarn zu leisten, und sich dabei über Gesetze hinwegzusetzen, ist ebenfalls ein Zeichen praktischer Solidarität gegen die Zustände, die das europäische Migrationsregime hervorbringt.

Seit Jahren sterben Menschen als direkte Folge der europäischen Grenzpolitik. Aber nach den Nachrichten über die 71 Toten auf der Westautobahn und den Bildern des toten Kindes aus Syrien, welches in Bodrum am Strand angespült wurde, nach dem "March of Hope", bei dem etwa tausend Geflüchtete sich von Budapest zu Fuß auf der Autobahn Richtung Österreich aufgemacht haben, könnte der Diskurs in den europäischen Staaten an einem Wendepunkt angelangt sein.

Für einen Wendepunkt in der europäischen Flüchtlingspolitik reicht es allerdings nicht aus, betroffen zu sein und Mitgefühl zu zeigen. Es ist nicht genug, Menschlichkeit anzumahnen und aus Mitleid "helfen zu wollen". Und es reicht auch nicht, für einen kurzen Moment die Einreise zu erlauben, solange die Geflüchteten ins Nachbarland durchgewunken werden können. Für einen wirklichen Wendepunkt bedarf es der Anerkennung und Durchsetzung des Rechts auf Asyl für alle Geflüchteten. Dabei handelt es sich nicht um spontane Entscheidungen, einigen armen, geschwächten Geflüchteten Schutz zu gewähren, so lange es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge handelt, süße Kinder darunter sind und alle Dankbarkeit zeigen. Beim Konzept von Asyl handelt es sich um ein Recht. Dieses Recht gilt nicht nur für ein Wochenende wenn es gerade politisch günstig ist, sondern es ist verlässlich und gilt unbegrenzt. Auch wenn die Zahlen der Asylanträge steigen. Ohne Kompromiss. Und für Menschen aus allen Ländern.

Das Dublin Abkommen hindert Geflüchteten daran, z.B. aus Ungarn in andere Länder zu fliehen. Es sieht vor, dass ein Asylantrag in dem Land gestellt werden muss, in welchem die EU erstmals betreten worden ist. Diese Regelung schützt die Interessen der reichen Länder in Nord- und Zentraleuropa, darunter Deutschland und Österreich. Dies passiert auf Kosten der Geflüchteten und den Ländern an den EU-Außengrenzen. Im Abkommen wird angenommen, dass es keinen Unterschied für die Anerkennung als Flüchtling macht, in welchem Land Asyl beantragt wird. Dies widerspricht der Realität. Wie in den letzten Tagen auf Bildern und in Videos deutlich geworden ist, macht es einen klaren Unterschied, ob eine geflüchtete Person in einem vom Rechtspopulisten Orban regierten Ungarn lebt, wo mit Schlagstöcken gegen Migrierende vorgegangen wird, wo Geflüchtete in Käfigen gesperrt werden und die Versorgung kollabiert. Wo sie mit einem hochgerüsteten Zaun vom Zutritt abgehalten werden sollen und der Gefahr einer Abschiebung nach Serbien ausgesetzt sind. Damit zeigt die Orban-Regierung in aller Härte, welche Gefahr Rechtspopulismus praktisch für die Geflüchteten bedeutet. Das gleiche Riskieren der Leben von Migrierenden findet täglich am Tunnel von Calais-Dover, im
Mittelmeer und durch Abschiebungen statt.

Flüchtlingssolidarische Demonstrationen können jetzt genau hier ansetzen: Beim Krieg gegen Flüchtlinge, getarnt als Krieg gegen Schlepper*innen, einhergehend mit einer neuerlichen Aufrüstung der Kriegsmarine im Mittelmeer. Bei dem Zaun in Ungarn in Verbindung mit einer Rechtsprechung, welche Flüchtlinge durch Abschiebungen, Illegalisierung und das Lagersystem keinen Schutz und keine Sicherheit gewährt und bei rechtsmotivierten Übergriffen wegsieht.

Keine geflüchtete Person müsste in Gummiboot oder fensterlosen LKW einreisen und dabei sterben, wenn die Einreise legal möglich wäre. Die Einreise wird durch Gesetze illegal gemacht. Die Toten sind von der EU Grenzpolitik selbstverschuldet. Sie können verhindert werden.

Gelder, die gegen Flüchtlinge eingesetzt werden könnten stattdessen FÜR diese verwendet werden und ihnen ein sicheres, menschenwürdiges Leben ermöglichen. Die Kapazitäten und Bereitschaft sind in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden. Rechte wie das Recht auf Bewegungsfreiheit für alle müssen jetzt dringend eingefordert werden. Es bedarf nun der politischen Entscheidung für eine menschliche Flüchtlingspolitik.

Dublin III ist brüchig geworden, das wird in diesen Tagen deutlich. Dass die Verordnung derzeit faktisch an immer mehr Stellen außer Kraft gesetzt wurde, ist auf kontinuierliche Kämpfe von Geflüchteten, Aktivist*innen, Anwält*innen, Abschiebestopps usw. zurückzuführen. Die aktuellen Geschehnisse können einen historische Veränderung bewirken - die Abschaffung der Vorordnung. Daher ist gerade jetzt Jede*r gefragt, sich zu informieren (1), gemeinsam aktiv zu werden, politisch Druck zu machen, auf die Straße zu gehen, Rechte einzufordern und für eine notwendige Veränderung zu kämpfen, denn dieser Moment hat das Potenzial, eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik durchzusetzen!

Bewegungsfreiheit für Alle!
No Border - No Nation!

Stop Deportation Vienna




Anmerkung:


1) z.B. hier:
:: menschliche-asylpolitik.at
:: bordermonitoring.eu
:: no-racism.net
:: proasyl.de


Was ist DublinIII? - Info laut :: proasyl.de

"Die Dublin-Verordnung gilt in allen EU-Staaten, Norwegen, Island und der Schweiz und wurde auf Druck der starken Staaten wie Deutschland und Frankreich durchgesetzt. Die Zuständigkeitsregelungen sehen im Kern vor, dass der Asylantrag eines Flüchtlings nur indem Land bearbeitet wird, das die Einreise eines Flüchtlings ins 'Dublin-Gebiet' zugelassen hat.
Als Beleg dafür gilt die Erteilung eines Visums, die Speicherung in der europäischen Fingerabdruckdatei Eurodac oder die Stellung eines Asylantrags, gegebenenfalls aber auch eine Rechnung oder ein Flugticket. Unbegleitete Minderjährige haben ausdrücklich das Recht, zu ihrer Familie zu gehen oder dort aufgenommen zu werden, wo sie sich aufhalten.
Das Dublin-System hat den Aufbau einer riesigen Bürokratie zur Folge, die eine Verschiebung von Asylsuchenden kreuz und quer durch Europa organisiert. Da der Großteil der Betroffenen über die ärmeren Staaten am geografischen Rande Europas einreist, liegt die Zuständigkeit für eine Asylprüfung oft bei diesen Staaten. Es kommt zu immer mehr Abschiebungen von Asylsuchenden aus Deutschland - auch in Länder, in denen ein faires Asylverfahren nicht zu erwarten ist, wo Asylsuchende inhaftiert werden oder keine menschenwürdigen Existenzbedingungen vorfinden."

Ein Artikel von Stop Deportation Vienna.