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[ 12. Sep 2018 ]

Eine „harmlose Aussage“ - zur Wiederherstellung kolonialer Ordnung?!

Nationalrat der FPÖ, Reinhard Bösch schlägt vor, Raum in Nordafrika mit mitlitärischen Kräften in Besitz zu nehmen, um von dort aus zu operieren. (Neue am Sonntag)

Was steckt hinter den kolonialen Fantasien von FPÖ-Wehrsprecher Reinhard Bösch? Hat er sich tatsächlich nur "ungeschickt ausgedrückt", wie sein Parteichef H.C. Strache behauptet? Oder offenbart die Aussage zur "militärischen Besitznahme in Afrika" das Weltbild der schwarz-blauen Koalition: Einer hierarchischen Aufteilung der Gesellschaft nach kolonialen Spielregeln? Die ÖVP will die Herstellung einer "Sicherheit und Ordnung" die es "mit voller Konsequenz durchzusetzen" gilt - um den Wohlstand in Europa zu sichern.

 


Ein Europa, das ...


Manchmal, wenn FPÖ-Politiker_innen offen darüber plaudern, was in ihren Köpfen so vor sich geht, dann stößt dies auf heftige Reaktionen. Wie zuletzt FPÖ-Wehrsprecher, Nationalrat und Mitglied des EU-Hauptausschusses Reinhard Bösch, der in einem Interview mit der "Neuen Vorarlberger Tageszeitung" (Neue am Sonntag, 2. Sep 2018) vorschlug, Raum in Nordafrika mit militärischen Kräften in Besitz zu nehmen, um von dort aus zu operieren.

Dass diese Position selbst ÖVP-Kanzler Kurz teilt, wird dabei übersehen. Dieser weigert sich wie so oft, konkret Stellung zu beziehen und versteckt sich hinter Worthülsen. In Bezug auf die Aussagen von Bösch bat er im Pressegespräch nach dem Minister_innenrat um "Verständnis, dass ich mich da nicht als der richtige Gesprächspartner für sie empfinde. Er ist nicht Mitglied meiner Partei, er ist nicht mein Wehrsprecher, er ist auch nicht Mitglied meiner Bundesregierung und insofern ist er auch nicht meine Angelegenheit."

Dabei passt alles ganz gut ins Konzept des österreichischen EU-Vorsitzes 2018, der unter dem Motto "Ein Europa das schützt" steht. Doch wer schützt da was vor wem? Bösch hat eine Antwort auf diese Frage: "Die Bekämpfung der illegalen Immigration ist ein wesentlicher Teil der Politik der künftigen europäischen Union. Wenn es nicht gelingt, die europäischen Außengrenzen zu schützen, wird alles andere, was als Fortschritt empfunden wurde - das Reisen ohne Reisepass, die Möglichkeit als EU-Bürger in allen Ländern der EU zu arbeiten - bald der Vergangenheit angehören." Die Freizügigkeit, eines der wesentlichen Grundrechte der EU, wird mit derartigen Positionen massiv in Frage gestellt. Zwar ist von Anfang an die Reise ohne Kontrollen an den Binnengrenzen an den verstärkten Schutz der EU-Außengrenzen und Kontrollen im Inneren (die sog. Schengen-Ausgleichsmaßnahmen) gebunden, ebenso wie der dauerhafte Aufenthalt an einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, doch wird dies nun vor allem von rechten Politiker_innen instrumentalisiert. Sie wollen die Reisefreiheit einschränken, indem sie vorgeben, die Außengrenzen würden nicht ausreichend geschützt. Ein Notstandsszenarium wird konstruiert, das ohne entsprechende Reaktion der Politik den "Untergang Europas" bedeuten würde. Vorgeblich um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, inszenieren sich Rechtsextreme und Faschist_innen als "Verteidiger(_innen) Europas".


Kontinuitäten


Was ist das Ziel hinter Slogans wie "Außengrenzen schützen" oder "Europa verteidigen"? Reinhard Bösch erklärt dies in Bezug auf den aktuellen EU-Ratsvorsitz: "Es wird auch um eine Stabilisierung der Nachbarländer, vor allem jener im Westbalkanraum gehen. Und in weiterer Folge darum, die Strukturen zu sichern, um den Wohlstand Europas zu erhalten. Zusammen mit dem Schutz der EU-Außengrenze sind dies die drei wesentlichen Eckpunkte der österreichischen Ratspräsidentschaft."

Diese Ziele bzw. "drei wesentlichen Eckpunkte der österreichischen Ratspräsidentschaft" sind nicht neu. Schon im Rahmen des :: österreischen EU-Ratsvorsitzes 2006 standen diese Themen am Programm:

1. "Stabilisierung der Nachbarländer". Zur Stabilisierung der Nachbarländer wurde bei einer "Internationalen Konferenz zur Inneren Sicherheit" im Mai 2006 die "Wiener Erklärung zur Partnerschaft für die Sicherheit" angenommen und eine Polizei-Kooperations-Konvention für Südosteuropa sowie weitere Dokumente unterzeichnet, die der EU die Grundlage für mehr Einfluss in den Nachbar_innenstaaten schafft (siehe :: PartnerInnenschaft für mehr Sicherheit: Die Kolonisierung schreitet voran... (09. May 2006)). In Bezug auf Österreich gelten hier vor allem die Nachbar_innenländer aus dem ehemaligen Ostblock bzw. eben jene am Westbalkan als zentral. Seit Jahren gibt es Treffen insbesondere mit ost- bzw. süd-osteuropäischen Staaten, bei denen das Thema "Sicherheit" eine zentrale Rolle einnimmt.

2. "Strukturen sichern, um den Wohlstand Europas zu erhalten". Mit dieser Position ist Bösch nicht alleine. Kanzler Kurz spricht immer davon, dass die EU ein europäisches Heer braucht, dass die Interessen und den Wohlstand Europas verteidigen kann - und gegebenenfalls in Afrika zur Sicherung des Zugangs zu Ressourcen eingesetzt werden soll. Dazu passend ist, dass das Bundesheer seine Präsenz in Afrika verstärken will. In einer APA-Meldung vom 28. August, noch vor dem Interview mit Bösch in der Neuen am Sonntag, ist dazu zu lesen:

"Viele sicherheitspolitische Herausforderungen, mit denen Europa derzeit konfrontiert sei - etwa Terrorismus und Migration - hätten ihren Ursprung in Afrika, sagt der Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium, Johann Frank, im Gespräch mit der APA. Er sehe deshalb nicht nur die Notwendigkeit, sich verstärkt auf dem Kontinent zu engagieren, es sei auch im "ureigensten Interesse der EU, selbst dort tätig zu sein", so Frank. Afrika werde auch in Brüssel "ganz klar" als Schwerpunktregion gesehen."

Afrika spiele bei Auslandseinsätzen des österreichischen Bundesheeres - und der Polizei - noch eine untergeordnete Rolle, da der Schwerpunkt auf dem Westbalkan liege. Und dies kommt nicht von ungefähr, sondern hat historische Gründe. Österreich ist seit langem am Westbalkan aktiv, wie ein Blick auf die Geschichte der Monarchie und ihre sog. "Kronländer" zeigt. Doch klar ist Politiker_innen wie Kurz und Strache, oder eben auch Bösch, dass die Ausbeutung Afrikas eine zentrale Rolle zur Aufrechterhaltung des Wohlstandes in Europa einnimmt.

3. "Schutz der EU-Außengrenze". Ein zentraler Punkt der europäischen Politik ist neben dem Aufbau einer Grenzschutztruppe (Frontex) in diesem Zusammenhang die Verlagerung der europäischen Grenzregimes in die angrenzenden Staaten bzw. nach Afrika. Es war ebenfalls unter österreichischem EU-Vorsitz im Jänner 2006, als im Rahmen eines informellen Treffens der EU-Justiz und Innenminister_innen in Wien die Errichtung erster Pilotprojekte :: exterritorialer Lager für Flüchtlinge und Migrant_innen in der Ukraine und :: Tanzania beschlossen wurden.


Die geistige Nähe der FPÖVP


Bösch vertritt eine Politik, die verantwortlich ist für das Sterben an den Grenzen und die Tote bewusst in Kauf nimmt. Für ihn ist das Wichtigste, "ein Signal auszusenden, dass die Europäische Union auf illegalem Weg nicht mehr zu erreichen ist."

Auffällig ist, wie sehr sich die Argumente von FPÖ und ÖVP ähneln. So ist im Programm der "neuen Volkspartei" zur Nationalratswahl 2017 unter dem Punkt "Keine illegale Zuwanderung zulassen" zu lesen: "Solange wir als Europa das Signal aussenden, jeden, der in Afrika in ein Boot steigt, zu retten und aufzunehmen, so lange werden sich immer mehr Menschen auf den Weg machen und so lange werden Menschen im Mittelmeer ertrinken."

Dazu passt, dass Kurz immer wieder damit argumentierte, dass die Schließung der Mittelmeerroute zu einem Rückgang der Todeszahlen führen würde. Und er machte nie einen Hehl daraus, wie wenig er von der zivilen Seenotrettung hält, wenn er beispielsweise sagt: "Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden." Für Kurz sind Menschen, die andere aus Seenot retten, Kompliz_innen von "Schlepper_innen". Er hetzt gegen zivile Seenotrettung, deren Rettungsaktionen seiner Meinung nach dazu führen würden, dass noch mehr Menschen ertrinken. Denn die Möglichkeit einer Rettung im Mittelmeer würde Geflüchtete und Migrant_innen ermutigen, die Überfahrt zu wagen. Dass dieses Argument an den Haaren herbeigezogen ist, beweisen die Entwicklungen der vergangenen Monate. Die massive Repression gegen die zivile Seenotrettung samt Festsetzung mehrerer Schiffe und juristischem Vorgehen gegen einzelne Seenotretter_innen hat zu einem Ausfall der zivilen Seenotrettung geführt - und einem massiven Anstieg der Ertrunkenen im Mittelmeer.

Ganz auf Staatsmann getrimmt, stellt Bösch in seinem Interview die Rettung von Menschen, die die Überfahrt über das Mittelmeer wagen, nicht in Frage. "Aber es muss ihnen klar sein, dass dies nicht die Eintrittskarte nach Europa ist. Man wird sie sammeln müssen, um sie dann wieder in ihre Länder zurückzubringen. Wenn es nicht gelingt, Anlandeplattformen in Libyen oder anderen nordafrikanischen Ländern zu errichten, muss ein Raum in Besitz genommen werden." Und genau diese Aussage sorgte für Aufregung. Denn erstmals sagte ein Politiker ganz offen, dass er zur Vorverlagerung der Grenzen Europas militärische Operationen in (Nord)Afrika in Erwägung zieht: "Dort könnte mit militärischen Kräften ein Raum in Besitz genommen werden. Dieser muss gesichert werden. Es braucht Versorgungseinrichtungen für die Flüchtlinge, die dann von dort in ihre Heimatländer zurückgebracht werden."


Mythos: "Verteidigung Europas" - die weiße Überheblichkeit


Dies führt zu einem weiteren zentralen Punkt bei der angeblichen "Verteidigung Europas" :: Die verstärkte Durchführung von Rückführungen bzw. Abschiebungen. Für Österreich zentral auf EU-Ebene sind dabei Sammelabschiebungen mit Charter- oder Militärflugzeugen, die offiziell seit 2006 durchgeführt werden, meist in Kooperation mit der Grenzschutzorganisation Frontex.

Die Abschiebungen betreffen hier sowohl jene Menschen, die bereits Europa erreicht haben - und deren Aufenthaltstitel abgelaufen ist oder denen kein Asyl gewährt wird. Es betrifft aber auch Menschen, die auf dem Weg nach Europa abgefangen werden - wie eben im Mittelmeer - und in der Folge direkt zurück gebracht werden, wie am Beispiel :: Libyen, aber auch in :: Marokko zu beobachten ist. Diese Politik der Push-Backs, wie diese Rückführungen genannt werden, ist illegal und sehr umstritten, denn sie verstößt klar gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Doch die Genfer Flüchtlingskonvention ist für die Rassist_innen lange ein Dorn im Auge.

Schon im Rahmen des österreichischen Ratsvorsitzes 1998 wurde in einem :: Strategiepapier zu Asyl und Migration die Aufhebung der Genfer Flüchtlingskonvention vorgeschlagen. Und diese Aufhebung der Genfer Flüchtlingskonvention steht nach wie vor am Programm der Beamt_innen, die die Gesetzesvorlagen und "Diskussionspapiere" ausarbeiten - und sich meist auf das fragwürdige Konzept der sog. "Push- und Pullfaktoren" beziehen. Ganz in dieser Tradition wurde unter dem jetzigen EU-Ratsvorsitz erneut :: ein informelles Papier ausgearbeitet, dass "ein neues, besseres Schutzsystem" vorsieht, "unter dem keine Asylanträge auf EU-Territorium mehr gestellt werden" können.

Denn, so die "Logik" dahinter: Wenn die Menschen in Afrika wissen, dass sie in Europa kein Asyl mehr beantragen können und ihnen klar sei, dass die heimliche Einreise - wie die Überfahrt über das Mittelmeer - keine "Eintrittskarte nach Europa" ist, dann würden sie erst gar nicht mehr versuchen, nach Europa zu kommen.

Ausgeblendet wird, dass sich kaum ein Mensch grundlos in ein Boot setzt, mit dem Wissen, wie gefährlich die Überfahrt über das Mittelmeer ist. Menschen, die aus Libyen fliehen, fliehen vor Ausbeutung, Folter, Unterdrückung und sexualisierter Gewalt, oder vor drohender Sklaverei. Immer wieder werden Geflüchtete und Migrant_innen in Libyen ermordet bzw. von den Milizen, die zahlreiche Internierungslager betreiben, exekutiert. Ein kürzlich veröffentlichter :: Bericht des Global Detention Project beschreibt Libyen als offenkundig lebensgefährlich Ort für Flüchtende und Migrant_innen, die häufig Misshandlungen ausgesetzt sind - auch in den zahlreichen Internierungseinrichtungen des Landes. Die Journalistin :: Sally Hayden, die seit Ausbruch der jüngsten militärischen Auseinandersetzung in Tripolis Ende August mit zahlreichen Gefangenen in Internierungslagern in Kontakt ist, bezeichnet Libyen als Kriegsgebiet und keinen Ort, an den Geflüchtete zurück gebracht werden.


Die verschleierte Intention rassistischer Aussagen


Was immer Bösch bei diesem Interview geritten hat, die Aussage scheint eindeutig. Er forderte "militärische Besitznahme" in Nordafrika. Doch sein Parteichef sieht dies - offiziell - anders. Strache meinte nach dem Minister_innenrat, bei dem er gemeinsam mit Kurz und weiteren Regierungsmitgliedern auftrat, relativierend: "Dass die Anlandezentren und Anlandeplattformen die wir fordern oder auch die Europäische Union sich vorstellt und fordert, dass in diesen Anhaltezentren natürlich auch die Möglichkeit bestehen könnte, das ist eine Form der Diskussion, aber nur in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Staaten vor Ort, den afrikanischen, hier auch einen militärischen bzw. polizeilichen Schutz der dort dann aufhältigen Personen auch sicherzustellen. Das wollte er zum Ausdruck bringen, hat das sehr ungeschickt getan aber bereits auch gestern in seiner Intention klar gestellt und damit ist das auch für mich erledigt."

Da ruft der Wehrsprecher einer Regierungspartei ganz offen zum Kriegseinsatz auf - und sein Parteichef ebenso wie der Bundeskanzler tun so, als wäre nichts geschehen, als habe sich ein Politiker lediglich "ungeschickt ausgedrückt". Doch es geht um viel mehr, als es offenbar den Anschein hat. Es geht um grundsätzliche Veränderungen der Politik und um eine "Neugestaltung des Asylsystems in Europa, das klare Regeln vorgibt, an die sich auch alle zu halten haben", wie im Programm der "neuen Volkspartei" zur Nationalratswahl 2017 zu lesen ist. Dieses von der ÖVP im Wahlkampf präsentierte System schließt die Antragstellung von Asyl auf europäischem Boden - so wie das oben erwähnte "Diskussionspapier" im Rahmen des EU-Vorsitzes - grundsätzlich aus: "Menschen, die auf See gerettet werden, sollen in ein „Rescue Center“ außerhalb der EU gebracht werden und nicht mehr auf das Festland der Europäischen Union gelangen. Illegalen Migranten, die dennoch in die EU einreisen, werden im Fall von Schutzbedürftigkeit in ein „Protection Center“ in einem Drittstaat gebracht, anderenfalls in die Herkunftsländer rückgestellt. Und nur jene, die durch mobile Teams internationaler Organisationen als besonders Schutzbedürftige in Flüchtlingszentren vor Ort bzw. in Krisenherden ausgewählt werden, können mittels Resettlement entsprechend spezifischer Kapazitätsgrenzen innerhalb der EU Aufnahme finden."

Dieser Selektionsmechanismus basiert auf der Vorstellung: "Wir müssen selbst entscheiden, wer bei uns einreist, und die Obergrenze für illegale Zuwanderung auf null setzen." Laut Argumentation der rassistischen Hardliner_innen würden Fluchhelfer_innen (die sie als "Schlepper_innen" bezeichnen) entscheiden, wer nach Europa kommt. Dies klingt schon fast so, als würden Leute andere dazu zwingen nach Europa zu fliehen. Es gibt tatsächlich einen Zwang bzw. Druck, der Menschen dazu bewegt, sich für Migration bzw. Flucht zu entscheiden. Doch dieser ist bedingt von globalen Ausbeutungsverhältnissen und Kriegen - und Europa ist in beides massiv involviert.


Wirtschaftliche Interessen und Sozialabbau


Obwohl der Kolonialismus fast überall offiziell beendet wurde, besteht nach wie vor eine vor allem ökonomische Abhängigkeit vieler ehemaliger Kolonial-Staaten. Und diese ökonomische Abhängigkeit wird dazu genutzt, um die Regierungen dieser Länder zu erpressen: Um ihre Märkte für den "Freihandel" zu öffnen und gleichzeitig die Bewegungsfreiheit von Menschen zu begrenzen, indem insbesondere in Afrika ein Grenzregime nach europäischen Interessen aufgebaut wird.

Dafür bedarf es einer enormen Infrastruktur. Teil dieser Infrastruktur ist neben dem Ausbau von Grenzkontrollen und der Einführung biometrischer Ausweise ein Lagersystem, in der Menschen "angehalten" werden. Doch ist bekannt, dass es in Nordafrika keinen Staat gibt, der derartige "Anhaltezentren" auf seinem Boden will, in denen europäische Militärs und Polizei aktiv sind. Denn nach wie vor sind die Kolonialzeit und das damit verbundene Agieren der europäischen Kolonisator_innen in Erinnerung - und werden abgelehnt.

Ein Blick ins Innere der EU zeigt einmal mehr, dass sich hinter der rassistischen Stimmungsmache ökonomische Interessen verbergen. So wird der in Österreich derzeit stattfindende massive Sozialabbau vor allem mit rassistischen Argumenten legitimiert - unter dem Motto: "Gegen den Zuzug ins Sozialsystem". Denn dieses - und hier sind wir wieder bei den Pull-Faktoren angelangt - würde Menschen dazu bewegen, nach Europa zu gelangen, um in den Genuss von Sozialleistungen zu kommen. Sicher spielt das Sozial- bzw. Gesundheitssystem eine Rolle, doch ist es wohl in erster Linie die Suche nach Erwerbsarbeit bzw. Sicherheit, die Menschen dazu bewegt, sich auf eine lebensgefährliche Reise zu begeben. Der Sozialabbau betrifft nicht nur Migrant_innen, sondern letztendlich und vor allem arme Menschen. Die permanente Betonung von Migrant_innen und die damit verbundene Schaffung eines Sündenbockes dient dazu, die eigentlichen Probleme zu verschleiern.


Die Rassismuskrise in Europa


Die europäischen Gesellschaften befindet sich in einer Krise, doch diese Krise ist weniger eine Wirtschaftskrise, noch eine "Flüchtlingskrise", sondern eine Rassismuskrise. Die damit verbundene Wiederherstellung kolonialer Ordnung dient dazu, die Welt insgesamt hierarchisch zu ordnen. Dass dies Verstörung hervorrufen kann ist klar, denn Freiheit und Sicherheit sehen anders aus. Den Herrschenden ist dies bewusst, wie eine Aussage von Sebastian Kurz aus dem Jahr 2016 zur Schließung der Mittelmeerroute zeigt: "Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen." Während die Rettung von Geflüchteten und Migrant_innen, den "Boat People", massiv behindert wird und tausende Menschen im Meer ertrinken, wird für die Rettung von einzelnen Tourist_innen ein riesengroßer Aufwand betrieben - und die Geretteten in den Medien gefeiert. Auf der einen Seite wird Mitgefühl gezeigt, auf der anderen werden die Toten sogar als Vorwand genommen, um die Überfahrten über das Meer noch gefährlicher zu machen.

Menschenleben werden unterschiedlich bewertet - und die Toten im Mittelmeer nicht nur bewusst in Kauf genommen, sondern teilweise sogar beklatscht. In den Kommentaren kommerzieller Medien oder in sozialen Medien ist zu lesen, dass Ertrunkene im Mittelmeer das Sozialsystem in Österreich bzw. Europa nicht belasten würden. Eine zweifelsohne menschenverachtende Argumentation. Doch das juckt die Herrschenden nicht, sie nutzen den geschürten Rassismus, um ihre Pläne zur Neuordnung der Gesellschaft umzusetzen. Denn nicht nur das Asylsystem in Europa soll laut ÖVP neu "geordnet" werden. Es geht um grundsätzliche Änderungen im Staat bzw. den demokratischen Institutionen. Das Programm der ÖVP zielt auf eine hierarchische Gesellschaftsordnung, die Menschen auf Plätze bzw. Positionen verweist, die sie zu akzeptieren haben. Sie will "klare Spielregeln für jeden vorgeben, unabhängig von Hintergrund und Herkunft." Und diese "Ordnung im Staat heißt für uns, dass es eine begrenzte Anzahl an Regeln gibt und diese aber konsequent eingehalten werden." Wer diese Regeln für wen festlegt, und wer was einzuhalten hat, das wollen die Regierenden bestimmen.

Obwohl von Vertreter_innen der schwarz-blauen Koalition permanent von der "Stärkung der direkten Demokratie" gefaselt wird, zeigt sind in konkreten Fällen, wie wenig sie von der Mitbestimmung der Bevölkerung halten. Ein Beispiel ist die Ausweitung der Normalarbeitszeit in Österreich, der sog. 12-Stunden-Tag, der trotz massiver Proteste von Arbeitnehmer_innen und deren Vertretungen wie Gewerkschaften und Arbeiter_innenkammer einfach eingeführt wurde. Eine der Begründungen lautet, dass 12 Stunden Arbeitszeit ohnehin bereits Realität waren und den Unternehmen damit Rechtssicherheit gegeben werden soll. Warum, wenn beschworen wird, dass Regeln von allen "konsequent eingehalten werden" müssen, wurden dann nicht jene Unternehmen, die sich nicht an bestehende Gesetze hielten, dazu veranlasst die Arbeitnehmer_innenrechte zu achten? Das ist doch ein Widerspruch in sich. Die Antwort dürfte auf der Hand liegen: Die Regierung vertritt vor allem die Interessen der Wirtschaft - und diese sind nicht unbedingt mit den Interessen der Arbeitnehmer_innen vereinbar. Denn den Unternehmer_innen geht es in erster Linie um eine Steigerung ihres Profits - und nicht um eine gerechte Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen. Und genau so wie in Österreich bzw. der EU die Rechte der ärmeren Menschen beschnitten werden, geschieht dies auch auf globaler Ebene. Jene hierarchische Gesellschaftsordnung, die Kurz, Strache & Co. vorschwebt, ist nicht vereinbar mit einer freien Gesellschaft, sondern ein Schritt Richtung autoritäres Regime.

Literaturtipp - zum Weiterlesen: